Das folgende ist der Text der Ringvorlesung vom 2.11.2001 über Primzahlen. Er ist im Telegrammstil abgefaßt und an vielen Stellen nur durch die mündlichen Erläuterungen verständlich.
Es wird keine Originalität in Anspruch genommen: die meisten Bilder, Diagramme und Tabellen entstammen der Literatur oder dem Internet. Wegen der Vielzahl der verwendeten Quellen haben wir auf einen Einzelnachweis verzichtet.
Die Größe der mathematischen Formeln ist auf eine Schriftgröße von 24 pt abgestimmt.

Primzahlen von Euklid bis heute

Ernst-Ulrich Gekeler, Universität des Saarlandes


(1) Was wissen wir über Primzahlen?

(2) Wann tritt der Begriff zum ersten Mal auf?

(3) Wer hat zu welcher Zeit was über Primzahlen gewußt?

Klare Antwort zu (2): Euklid, Elemente, Bücher VII-IX (um 300 v. Chr.)

Wenige schwache Hinweise vorher:




Euklid (ca. 325-265 v.Chr.)

Elemente, Bücher VII-IX

"Eine Primzahl ist eine Zahl, die sich nur durch die Einheit messen läßt."

Elementare Teilbarkeitslehre:

(trotzdem keine explizite Erwähnung der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung)


Bemerkenswert:

in der (für uns!) äquivalenten Form des unendlichen Abstiegs in VII,31
(. Gilt :"", so ist .)




1537 Practica Arithmeticae generalis
1545 Ars magna sire de regulis algebraicis
etwas später Ars magna arithmeticae
"Von den Zahlen werden einige Primzahlen, andere zusammengesetzte Zahlen genannt."


Methode: Aufstellen der ersten ausführlichen Primzahltabellen (), dann Probedivision.



Wieso Zahlen der Form  prim?

(a)  nicht prim:

nicht prim!


(b)  prim. Jeder Teiler  von  hat die Form  (Fermat 1640)

deshalb kommen nur wenige Zahlen als Teiler von  in Frage, z.B. für nur 


Die  heißen Mersenne-(Prim)zahlen nach dem Abbé
Marin Mersenne (1588-1648),

der 1640 die Primalität von  für  behauptet hat.
(Falsch für , dagegen richtig auch für .)


geben "einfachen" Test auf Primalität von  für große Primzahlen . Seither fast alle Primzahlrekorde durch Mersenne-Primzahlen.

Lucas 1876:  (39 Stellen) ist prim.



Pierre de Fermat (1601-1665)

Wichtige Beiträge zur Entwicklung des Differential- und Integralkalküls, zur Variationsrechnung, Geometrie, Zahlentheorie: quadratische Formen, diophantische Gleichungen, Primzahlen...

Z.B.

("Kleiner" Satz von Fermat)

keine "nichttrivialen" Lösungen  in ganzen Zahlen (?)

("Großer" Satz von Fermat)



Leonhard Euler (1707-1783)

prim  Darstellung , und 
(Beispiele für große Primzahlen, Widerlegung von Fermats Behauptung der Primalität von )
$a^{p-1}\equiv 1{ \rm mod }p$


Goldbach-Vermutung

Christian Goldbach (1690-1764), Freund, Förderer, Korrespondent von Euler

"Jede natürliche Zahl  ist Summe dreier Primzahlen"  (?)
(Goldbach 1742 in Brief an Euler)

Äquivalent (Euler im Antwortbrief):

"Jede gerade Zahl  ist Summe zweier Primzahlen"

Bisher unbewiesen!

Abgeschwächte Formen können bewiesen werden, z.B.:


"trade off" zwischen Größe der Konstanten und Qualität der Aussagen.

Additive Zahlentheorie: Hardy-Littlewood, Gelfand-Linnik, Vinogradov, Brun, van der Corput, Schnirelman, Chen, Hua,...



Systematische Fragestellungen um Primzahlen

ist Primzahl$\}$
$x\in{\Bbb R}$

-te Primzahl ()

Primzahlfunktion

Tabellen legen nahe:

C.F.Gauß (1777-1855)                                A.M.Legendre (1752-1833)
.                               .
1792:  (?)                      1808: (?)

Dabei 

Leicht zu sehen:

für alle Konstanten 

Deshalb sind beide Vermutungen äquivalent
("Primzahlsatz", bewiesen 1896 von
J. Hadamard (1865-1963) und C.J. de la Vallée Poussin (1866-1962)  )
.           .

Folge: 
Vergleich von Approximationen für pi(x)
x pi(x) Gauß' Li Legendre x/(log x - 1)
1000 168 178 172 169
10000 1229 1246 1231 1218
100000 9592 9630 9588 9512
1000000 78498 78628 78534 78030
10000000 664579 664918 665138 661459
100000000 5761455 5762209 5769341 5740304
1000000000 50847534 50849235 50917519 50701542
10000000000 455052511 455055614 455743004 454011971



Annäherungen

P.L. Chebyshev (1821-1894)

ca. 1850: es gibt Konstanten  mit:

,falls ,

z.B. 
"Zusammenfassung":
Für  gilt 





Weiter:


Chebyshevs Resultate gleichzeitig schwächer (Natur der Konstanten ) und stärker (explizite Fehlerabschätzung) als der Primzahlsatz.

Vermutung von Bertrand  mit 

Verschärfung: Zwischen je zwei Quadratzahlen liegt mindestens eine Primzahl (?)



B.Riemann (1826-1866)

B. Riemann, "Über die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Grösse" 1859

(Euler für $s$ reell, $s>1$)
Riemann:


(ganze Funktion in , schnell konvergent, Gram 1893)

und:

,

wobei  durch die Nullstellen von  im kritischen Streifen läuft.

Fehlerabschätzung von  Kenntnis der Nullstellen von 

Der Absolutbetrag der Zeta-Funktion (Pol bei 0 sichtbar)

Der Absolutbetrag der Inversen der Zeta-Funktion (nichttriviale Nullstellen von Zeta als Pole entlang der kritischen Geraden sichtbar)

Vermutung von Riemann:

Die nichttrivialen Nullstellen von  liegen alle auf der kritischen Geraden (?)

Konsequenzen:
 

(wurde bewiesen von Hadamard, de la Vallée Poussin 1896; starke Vereinfachung durch Newman 1980; Zahlentheoriebuch von H. Koch 1997)


Bekannte Aussagen in Richtung der Vermutung:


Statistik der Nullstellen Statistik der Eigenwerte zufälliger hermitescher Matrizen (Vielteilchenphysik)

Riemanns Formel

im Prinzip geeignet zur exakten Berechnung von  für große . Effektivere Methode (Meissel 1885, Lehmer, Lagaries, Miller, Odlyzko,...)



Andere Verteilungsprobleme:

3   7    11    15      19     23      27       31     35     39     43...

  5    9     13  17      21     25    29       33    37  41     ...

Treten in beiden Folgen unendlich viele Primzahlen auf?

Verallgemeinerung: Sind  teilerfremde ganze Zahlen, , gilt (Legendre 1808):

" enthält unendlich viele Primzahlen." (?)

G.L. Dirichlet (1805-1859)

1837-1840: Ja! Genauer:

Für  wie oben gilt:

Dazu: Erfindung der "Dirichlet'schen L-Funktionen"

Beispiel: 

(Verallgemeinerung der Zeta-Funktion, holomorphe Fortsetzung vom Konvergenzgebiet auf ganz )

Satz von Dirichlet folgt (für ) aus .

Es ist

Dies macht plausibel: Trotz asymptotischer Äquivalenz auf endlichem Niveau etwas mehr  als .
 

Bedingung Anzahl <1000 <2000 <5000 <10000 <20000 <50000 <100000
80 147 329 609 1125 2549 4783
87 155 339 619 1136 2583 4808

Quadratische statt lineare Progression:

Gibt es unendlich viele Primzahlen z.B. in ?
(Vermutung von Hardy-Littlewood 1917)

Polynome höheren Grades?

Antwort unbekannt!



Probabilistische Überlegungen

C.H. Cramér (1893-1985)       G.H. Hardy (1877-1947)      J.E. Littlewood (1885-1977)
.      ..      .

Ausgehend von der "Annahme":

"Eine große Zahl $n$ ist mit Wahrscheinlichkeit  prim (unabhängig für alle )"

Erwartungswerte für z.B.
Intervall Primzahlen
erwartet                  gefunden
Primzahlzwillinge
erwartet                   gefunden
1 000 000 000-
1 000 150 000
7238                            7242 461                                 466
100 000 000 000-
100 000 150 000
5922                            5974 309                                  276
10 000 000 000 000-
10 000 000 150 000
5011                            5065 211                                 208
1 000 000 000 000 000-
1 000 000 000 150 000
4343                           4251 166                                 161

Nicht bekannt, ob es unendlich viele Primzahlzwillinge gibt! Aber (Brun 1919)

konvergent (gegen Wert )



Primzahlerzeugung

Gibt es eine einfache Funktion  mit ?

Es ist , also  konvergent und

Tautologisch!
 

Beispiel (Euler): .
Dann ist  prim für ,.
Ebenso: Für  hat  prime Werte für .
Grund: Der imaginär-quadratische Körper  hat für diese  die Klassenzahl 1 (Rabinowitsch 1912)
Aber: Jedes nichtkonstante Polynom mit Koeffizienten in  (oder ) liefert bei Einsetzen von  unendlich viele nichtprime Werte (Übungsaufgabe).




Primzahltests

"Dass die Aufgabe, die Primzahlen von den zusammengesetzten zu unterscheiden und letztere in ihre Primfactoren zu zerlegen, zu den wichtigsten und nützlichsten der gesamten Arithmetik gehört und die Bemühungen und den Scharfsinn sowohl der alten wie auch der neueren Geometer in Anspruch genommen hat, ist so bekannt, dass es überflüssig wäre, hierüber viele Worte zu verlieren...ausserdem aber dürfte es die Würde der Wissenschaft erheischen, alle Hülfsmittelzur Lösung jenes so eleganten und berühmten Problems fleissig zu vervollkommnen"
(Gauß, Disquisitiones Arithmeticae, Abs. 329)


Rekorde


für ,

hat  Stellen.

(GIMPS=Great Internet Mersenne Prime Search)


hat  Stellen ()
 

Eine kubische Extrapolation dieser Daten würde folgenden Entdeckungen vorhersagen:



haben  Stellen


(die erste der Länge )

Weitere der Länge  bei 

bei 
bei