next up previous contents
Nächste Seite: Uneigentliche Grenzwerte Aufwärts: Grenzwerte von Funktionen und Vorherige Seite: Grenzwerte von Funktionen und   Inhalt

Grenzwerte von Funktionen

Beispiele 2.3.1   Die Funktion

$\displaystyle f:x\mapsto \frac{x^2-4}{x-2}
$

ist im Punkt $ 2 $ nicht definiert. Da

$\displaystyle f(x)=x+2$       für $x&ne#neq;2$,$\displaystyle $

liegen die Funktionswerte nahe an $ 4$, wenn $ x$ nahe an $ 2 $ liegt.

Genauer gilt für jede Folge $ (x_n)$ in $ \mathbb{R}\setminus \{2\}$:

   Aus    $\displaystyle x_n \rightarrow 2$       folgt     $\displaystyle f(x_n)\rightarrow 4$   .$\displaystyle $

Somit sollte $ 4$ der ,,Grenzwert`` von $ f$ bei der Annäherung an $ 2 $ sein.

Bei der Definition des Grenzwertes einer Funktion $ f$ in einem Punkt $ a$ untersuchen wir zunächst den wichtigen Spezialfall, daß der Punkt $ a$ nicht zum Definitionsbereich von $ f$ gehört:

Definition 2.3.2 (Spezialfall $ f: I\setminus\{a\} \rightarrow \mathbb{R}$)  

Gegeben sei ein offenes Intervall $ I\subseteq \mathbb{R}$, $ a\in I$ und eine Funktion $ f: I\setminus\{a\} \rightarrow \mathbb{R}$.

Eine Zahl $ \ell \in \mathbb{R}$ heißt Grenzwert der Funktion $ f$ im Punkte $ a$, falls für jede Folge $ (x_n)_n$ in $ I\setminus \{a\}$ aus $ x_n \rightarrow a$ stets $ f(x_n)\rightarrow \ell$ folgt.

Bezeichnung. Man schreibt $ \ell = \lim\limits_{x \rightarrow a} f(x)$ oder $ f(x)\rightarrow \ell$ für $ x \rightarrow a$.

Bemerkung

  1. Wir werden später die Definition auf beliebige Definitionsbereiche ausdehnen.
  2. In der obigen Definition ist die Funktion im Punkte $ a$ nicht definiert. Irgendein andersweitig erklärter Funktionswert im Punkte $ a$ spielt für die Bestimmung des Grenzwertes also keine Rolle.
  3. Um auf jedenfall klarzustellen, daß wir die Funktion $ f$ auf dem Definitionsbereich $ I\setminus \{a\}$ meinen, schreiben wir

    $\displaystyle \lim_{\substack{x \to a\\  x\not= a}}f(x)$   .$\displaystyle $

  4. Diese Vorsichtsmaßnahme ist angebracht, da man in der Literatur zwei Definitionen des Grenzwertes findet. Für den traditionellen Grenzwertbegriff von Weierstraß vergleiche man das Schulbuch, [KABALLO, Band II] oder [KÖNIGSBERGER], für den moderneren, flexibleren Begriff siehe [DIEUDONNÉ], [FORSTER] oder [BRÖCKER].

    Wir beschränken uns vorerst auf die Fälle, in denen der Unterschied sich nicht bemerkbar macht.

Feststellung 2.3.3  

  1. Der Grenzwert ist eindeutig bestimmt.
  2. Ist $ J \subset \mathbb{R}$ ein offenes Intervall und $ a \in J $, so gilt für die Einschränkung $ g :=f\vert _{I\cap J\setminus\{a\}} $:

    $\displaystyle \lim_{x\to a}f(x) = \ell \quad\Leftrightarrow\quad
\lim_{x\to a}g(x)= \ell$.$\displaystyle $

Bemerkung Teil 2.) der Feststellung besagt, daß der Grenzwert nur vom Verhalten der Funktion in einer kleinen Umgebung $ J $ des Punktes $ a$ abhängt. $ I\cap J $ ist ein offenes Intervall.

Wir schreiben

$\displaystyle \lim_{\substack{x\to a \\  x\in I\cap J}} f(x) :=\lim_{x\to a}g(x)= \ell$.$\displaystyle $

Beispiele 2.3.4  
  1. Es gilt also     $ \lim\limits_{x \rightarrow 2} \frac{x^2-4}{x-2}=4$.

    Setzen wir diese Funktion in $ x=2$ durch ein beliebiges $ c \in \mathbb{R}$ zu einer auf ganz $ \mathbb{R}$ definierten Funktion fort:

    $\displaystyle \widetilde{f}:\mathbb{R}\rightarrow\mathbb{R}$,    \begin{displaymath}x\mapsto \left\{
\begin{array}{lll}
\frac{x^2-4}{x-2} &\mbox{...
...neq 2\\
c &\mbox{f\uml ur}& x=2
\end{array}\text{,}
\right.
\end{displaymath}

    so gilt in allen Fällen $ \lim\limits_{x \rightarrow 2} f(x) =4$.
  2. Allgemeiner gilt $ \lim\limits_{x \rightarrow a} \frac{x^2-a^2}{x-a}
=\lim\limits_{\substack{x \rightarrow a\\  x\not= a}} (x+a) = 2a$.
  3. Für $ a>0 $ gilt $ \lim\limits_{\substack{x \rightarrow a\\  x\not= a}} \sqrt{x} =\sqrt{a}$.

    Für die auf $ (0,\infty) \setminus \{ a \} $ erklärte Funktion erhält man:

    $\displaystyle \lim\limits_{x \rightarrow a} \frac{\sqrt{x}-\sqrt{a}}{x-a}
=\lim...
...{x \rightarrow a\\  x\not= a}} \frac{1}{\sqrt{x}+\sqrt{a}}
=\frac{1}{2\sqrt{a}}$    .$\displaystyle $

Die folgende Feststellung liefert eine äquivalente Formulierung der Grenzwertdefinition.

Feststellung 2.3.5 ( $ \varepsilon$-$ \delta $ Definition des Grenzwertes)  

Gegeben sei ein offenes Intervall $ I\subseteq \mathbb{R}$, $ a\in I$ und eine Funktion $ f: I\setminus\{a\} \rightarrow \mathbb{R}$.

Für $ \ell \in \mathbb{R}$ sind die folgenden Aussagen äquivalent:

  1. $ \ell = \lim\limits_{x \rightarrow a} f(x)$,
  2. Für alle $ \varepsilon >0$ existiert ein $ \delta>0$, so daß für $ x\in I \setminus \{a\}$ aus $ \vert x-a\vert<\delta$ stets $ \vert f(x)-\ell\vert<\varepsilon$ folgt.

Bild. Das heißt, zu jedem $ 2\varepsilon$-Intervall $ I_\varepsilon(\ell)=(\ell- \varepsilon,\ell +\varepsilon) $ mit Mittelpunkt $ \ell$ gibt es ein $ 2\delta$-Intervall $ I_\delta(\ell)=(a-\delta,a+\delta)$ mit Mittelpunkt $ a$, so daß

$\displaystyle f(I_\delta(a)\setminus\{a\})
\subseteq I_\varepsilon (\ell)$.$\displaystyle $

Feststellung 2.3.6 (Rechenregeln für Grenzwerte)  

Gegeben sei ein offenes Intervall $ I\subseteq \mathbb{R}$, $ a\in I$ und Funktionen $ f,g:I\setminus\{a\}\rightarrow \mathbb{R}$ mit $ \lim\limits_{x \rightarrow a} f(x) = \ell_f$ und $ \lim\limits_{x \rightarrow a} g(x) = \ell_g$

Dann folgt

  1. $ \lim\limits_{x \rightarrow a} (f+g)(x) = \lim\limits_{x\to a}f(x)+ \lim\limits_{x\to a}g(x)$.
  2. $ \lim\limits_{x \rightarrow a} (f\cdot g)(x) = \lim\limits_{x\to a}f(x) \cdot \lim\limits_{x\to a}g(x)$.
  3. Wenn $ \ell_g\neq 0$, so gibt es ein offenes Intervall $ J \subset I $ mit $ a \in J $, so daß $ g(x) \neq 0 $ für $ x\in J\setminus\{a\} $.

    Auf $ J\setminus\{a\} $ gilt dann:

    $\displaystyle \lim\limits_{\substack{x \rightarrow a\\  x\in J\setminus\{a\}}}\...
...f}{g} \Bigr)(x)
= \frac{ \lim\limits_{x\to a}f(x) }{ \lim\limits_{x\to a}g(x) }$

    .

Bezeichnung Im allgemeinen geben wir in der Aussage 3.) das Intervall $ J $ nicht an und schreiben:

$\displaystyle \lim_{x\to a}\frac{f}{g}(x) = \lim_{x\to a}\frac{f(x)}{g(x)} = \frac{\ell_f}{\ell_g}$     .$\displaystyle $

Bemerkung 2.3.7   Weitere Regeln sind:
  1. Einsperregel: Es sei $ h: I\setminus\{a\}\rightarrow \mathbb{R}$ und $ f \leqslant h \leqslant g $.

    Wenn $ \lim\limits_{x\to a} f(x) = \lim\limits_{x\to a}g(x) = \ell $, dann ist $ \lim\limits_{x\to a}h(x) = \ell $.

    Wenn $ \lim\limits_{x\to a}f(x) = 0 $, $ h $ beschränkt, dann $ \lim\limits_{x\to a} (f\cdot h)(x) = 0 $.

  2. $ \lim\limits_{x\to a}\max(f,g)(x) =
\max\{ \lim\limits_{x\to a}f(x) ,\lim\limits_{x\to a}g(x) \} $.
  3. $ \lim\limits_{x\to a}\vert f(x)\vert = \vert\lim\limits_{x\to a}f(x)\vert $.
  4. Es sei $ p\in\mathbb{N}$. Wenn $ f \geqslant 0 $, so gilt

    $\displaystyle \lim\limits_{x\to a}\sqrt[\uproot{2}p]{\strut f(x)}
= \sqrt[\uproot{2}p]{\strut\lim\limits_{x\to a}f(x)}$.$\displaystyle $

Beweis (von Feststellung [*]).

1.
und 2. Dies folgt sofort aus den entsprechenden Regeln [*] für Grenzwerte von Folgen.
3.
Wir müssen ein offenes Intervall $ J $ angeben, das $ a$ enthält und auf dem $ g(x) \not= 0 $ ist:

Nach Feststellung [*] gibt es zu $ \displaystyle \varepsilon :=\frac{\vert\ell_g\vert}{2}>0 $ ein $ \delta>0$, so daß für $ x\in D_f$ und $ \vert x-a\vert<\delta$ folgendes gilt:

$\displaystyle \vert\ell_g -g(x)\vert < \varepsilon = \frac{\vert\ell_g\vert}{2}$$\displaystyle \text { .}$    
$\displaystyle \Rightarrow\quad \vert\ell_g\vert -\vert g(x)\vert < \frac{\vert\...
...vert}{2} \quad\Rightarrow\quad 0 < \frac{\vert\ell_g\vert}{2} < \vert g(x)\vert$$\displaystyle \text { .}$    

Die restliche Behauptung folgt nun aus der entsprechenden Regel [*](3) für Quotienten von Folgen.

Beispiel.

$\displaystyle \lim_{\substack{x \to 1\\  x\not=1\\  }}\frac{\sqrt{x^2+1}}{\sqrt{x+\sqrt{x}}-\sqrt{x-\sqrt{x}}} = 1
$

Die Funktion ist für $ x > 0 $ erklärt, da:

$\displaystyle \sqrt{x+\sqrt{x}}-\sqrt{x-\sqrt{x}} > 0$       für $ x > 0 $.$\displaystyle $

Es sei $ (x_n)_n$ eine Folge mit $ x_n\to 1 $ für $ n\to \infty $. Dann gilt

$\displaystyle \sqrt{\strut x_n}$ $\displaystyle \to 1,$    
$\displaystyle \sqrt{x_n-\sqrt{x_n}}$ $\displaystyle \to 0,$    
$\displaystyle \sqrt{x_n+\sqrt{x_n}}$ $\displaystyle \to \sqrt{2},$    
$\displaystyle \sqrt{\strut x_n^2+1}$ $\displaystyle \to \sqrt{2}$$\displaystyle \text\,{.}$    

Beispiele 2.3.8   Die Heaviside-Funktion wird auf $ \mathbb{R}$ definiert durch

$\displaystyle H(x):= \left\{\begin{array}{lcl}
0 & \mbox{ f\uml ur } & x<0\\
1 & \mbox{ f\uml ur } & x\geqslant 0\\
\end{array} \right.
$

Die Heaviside Funktion beschreibt einen Einschaltvorgang, ein Signal springt von $ 0 $ auf $ 1$.

Der Grenzwert $ \lim_{\substack{x \rightarrow 0\\  x\not=0}} H(x)$ existiert offenbar nicht.

Für Folgen $ (x_n)$ in $ (0,\infty)$ mit $ x_n \rightarrow 0$ gilt $ H(x_n) \rightarrow 1$, für Folgen $ (x_n)$ in $ (-\infty,0)$ mit $ x_n \rightarrow 0$ gilt $ H(x_n) \rightarrow 0$ .

Man kann daher $ 1$ als rechtsseitigen Grenzwert und 0 als linksseitigen Grenzwert von $ H$ in Punkte 0 auffassen.

Definition 2.3.9 (rechtsseitiger Grenzwert)  

Gegeben sei ein nichtleeres, offenes Intervall $ I\subseteq \mathbb{R}$, mit linkem Endpunkt $ a \in \mathbb{R}$ und eine Funktion $ f:I \rightarrow \mathbb{R}$.

Eine Zahl $ \ell \in \mathbb{R}$ heißt rechsseitiger Grenzwert der Funktion $ f$ im Punkte $ a$, falls für jede Folge $ (x_n)_n$ in $ I $ aus $ x_n \rightarrow a$ stets $ f(x_n)\rightarrow \ell$ folgt.

Bezeichnung und Bemerkung 2.3.10  

  1. Man schreibt

    $\displaystyle \lim\limits_{x \downarrow a} f(x) = \lim\limits_{x\to a^+}f(x) = f(a^+) :=\ell$

    oder $ f(x)\rightarrow \ell$ für $ x \downarrow a$.

  2. Der rechsseitige Grenzwert ist ein Spezialfall des Grenzwertbegriffes [*]. Man kann also auch $ \lim_{x\to a} f(x) $ schreiben.
  3. Analog definiert man für ein nichtleeres, offenes Intervall $ I $ mit rechtem Endpunkt $ b \in \mathbb{R}$ den linksseitigen Grenzwert

    $\displaystyle \lim\limits_{x\uparrow b} f(x) = \lim\limits_{x\to b^-}f(x) = f(b^-) :=\ell
$

    und schreibt $ f(x) \to \ell $ für $ x \uparrow a $.
  4. Es sei $ I $ ein offenes Intervall, $ a\in I$ und $ f:I \rightarrow \mathbb{R}$. Wir vereinbaren:

    $\displaystyle \lim\limits_{x\downarrow a} f(x)
:=\lim\limits_{\substack{x\downarrow a\\  x\in(a,\infty)}} f(x)$   ,$\displaystyle \qquad \lim\limits_{x\uparrow a} f(x) :=\lim\limits_{\substack{x\uparrow a\\  x\in(-\infty,a)}} f(x)$   .$\displaystyle $

  5. Für innere Punkte $ a\in I$ gilt also:

    $ \lim\limits_{\substack{x\to a\\  x\not=a}}f(x) = \ell
\quad\Leftrightarrow\quad \lim\limits_{x\downarrow a} f(x) = \ell $  und  $ \lim\limits_{x\uparrow a} f(x) = \ell $. $\displaystyle $


next up previous contents
Nächste Seite: Uneigentliche Grenzwerte Aufwärts: Grenzwerte von Funktionen und Vorherige Seite: Grenzwerte von Funktionen und   Inhalt
Analysis1-A.Lambert 2001-02-09