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Sprünge und Oszillationen

Wichtige Typen von Unstetigkeiten sind Sprünge und Oszillationen.

Beispiele 2.3.30  
  1. Die Heaviside-Funktion $ H:\mathbb{R}\rightarrow \mathbb{R}$ hat eine Sprungstelle bei 0, da $ H(0^-)\neq H(0^+)$.
  2. Im Falle monotoner Funktionen $ f:I \rightarrow \mathbb{R}$ besteht die Menge der Unstetigkeitsstellen

    $\displaystyle \{x \in I\mid f$    ist unstetig in $\displaystyle x\}
$

    nur aus Sprungstellen.
  3. Für die Gauß-Klammer-Funktion $ G:x\mapsto [x]$ ist die Menge der Unstetigkeitsstellen gleich $ \mathbb{Z}$.

  4. Auf $ [-1,1)$ definieren wir eine Funktion

    $\displaystyle Z:x\mapsto 1-2\vert x\vert$

    und setzen sie zu einer auf ganz $ \mathbb{R}$ definierten $ 2 $-periodischen Zackenfunktion fort:

    $\displaystyle Z(x):=Z(x-2k)$    für $ x\in [2k-1,2k+1) $, $ k \in \mathbb{Z}$,$\displaystyle $

    D. h. es gilt $ Z(x)=Z(x+2)$ für alle $ x \in \mathbb{R}$. Da $ Z(-1)=Z(1-)$ gilt, ist $ Z$ auf $ \mathbb{R}$ stetig.

    Da $ Z(2k)=1$ und $ Z(2k+1)=-1$ für alle $ k \in \mathbb{Z}$ gilt, existieren die Grenzwerte von $ f(x)$ für $ x \to \infty $ und $ x \to -\infty $ nicht.

    Später werden wir statt der Zackenfunktion die $ 2\pi $-periodische Funktion $ \cos(x)$ betrachten.

  5. Mit der Zackenfunktion $ Z$ können wir die Wackelfunktion $ W:\mathbb{R}\rightarrow \mathbb{R}$ bilden:

    $\displaystyle W(x):= \left\{ \begin{array}{ll}
Z(\frac{1}{x}) &\mbox{ f\uml ur } x\neq 0\\
0 &\mbox{ f\uml ur } x=0 \end{array}\right. \mbox{.}
$

    $ W $ ist stetig auf $ \mathbb{R}\setminus\{0\} $.

    Die Wackelfunktion oszilliert links und rechts von 0.

    Die Grenzwerte von $ W(x) $ für $ x\uparrow 0 $ und $ x\downarrow $ existieren nicht.

    Auch durch Abänderung von $ W(0)$ kann $ W $ nicht zu einer in 0 (auch nur einseitig) stetigen Funktion gemacht werden.

  6. Durch Dämpfung der Oszillation von $ W $, z.B. durch Multiplikation mit $ x$, entsteht eine stetige Funktion:

    $\displaystyle x \mapsto xW(x)$       für $\displaystyle x\in\mathbb{R}$.$\displaystyle $

    Da $ \vert W(x)\vert \leq 1$ für alle $ x \in \mathbb{R}$ ist, folgt aus $ x_n \rightarrow 0$ stets $ x_n W(x_n) \rightarrow 0$.
  7. Später werden wir statt der Zackenfunktion die periodischen Funktionen $ \cos(x)$ oder $ \sin(x)$ betrachten.

    Die damit gebildeten Funktionen $ \cos(\frac{1}{x})$ und $ \sin(\frac{1}{x})$ verhalten sich wie die Wackelfunktion und sind ebenfalls nicht stetig in 0 fortsetzbar.

    Die Funktionen $ x\cos(\frac{1}{x}) $ und $ x\sin(\frac{1}{x}) $ sind dagegen stetig in $ 0 $.

Es gibt auch Funktionen mit sehr vielen Unstetigkeitsstellen:

Beispiele 2.3.31 (Dirichlet-Funktion)  

  1. Man definiert die Dirichlet-Funktion auf $ \mathbb{R}$ durch

    $\displaystyle D(x):= \left\{ \begin{array}{l}
0 \mbox{ f\uml ur } x\notin \mathbb{Q}\\
1 \mbox{ f\uml ur } x \in \mathbb{Q}\end{array}\right.
$

  2. Die Dirichlet-Funktion besitzt in keinem $ a$ aus $ \mathbb{R}$ einen Grenzwert. Insbesondere ist $ D $ in jedem Punkt unstetig.

DIRICHLET, Peter, Gustav, Lejeune, 1805-1859

Beweis .

  1. Zu $ x \in \mathbb{Q}$ so bilde man die Folgen: (vgl. [*] )

    $\displaystyle r_n :=x+\frac{1}{n}\to x$       und    $\displaystyle x_n:=x+\frac{\sqrt{2}}{n} \to x$.$\displaystyle $

    Es ist $ D(r_n) = 1 $ und $ D(x_n) = 0 $.

    Also hat die Funktion $ D $ in keinem rationalen Punkt einen Grenzwert.

  2. Wenn $ x \in \mathbb{R}\setminus\mathbb{Q}$, so ist auch $ x_n = \bigl(x+\frac{1}{n} \bigr) \in \mathbb{R}\setminus\mathbb{Q}$. Die Folge irrationaler Zahlen $ (x_n)_n$ konvergiert gegen $ x$.

    Nach der Bemerkung [*] gibt es eine Folge $ (r_n)_n $ in $ \mathbb{Q}$, die gegen $ x$ konvergiert.

    Also hat die Funktion $ D $ in keinem irrationalen Punkt einen Grenzwert.

Satz 2.3.32 (Rationale Approximation)  

Es sei $ I\subset \mathbb{R}$ ein offenes Intervall und $ x \in I$. Dann gibt es eine Folge $ (r_n)_n $ rationaler Zahlen in $ I $ die von unten gegen $ x$ konvergiert:

$\displaystyle r_n\in I\cap \mathbb{Q}, \quad r_n < x$       und    $\displaystyle r_n\to x$   .$\displaystyle $

Beweis (Rationale Approximation). Fall $ x > 0 $: Zu jedem $ n\in \mathbb{N}$, existiert ein $ p_n \in \mathbb{N}_0 $, so daß

$\displaystyle p_n$ $\displaystyle < nx$   $\displaystyle \leqslant p_n+1$    
$\displaystyle \Rightarrow\quad x-\frac{1}{n}$ $\displaystyle \leqslant \frac{p_n}{n}$   $\displaystyle < x$.    

Die Folge $ \displaystyle r_n :=\Bigl(\frac{p_n}{n}\Bigr)_{n=1}^\infty $ konvergiert gegen $ x$.

Zu $ c<x $, $ c\in I$, gibt es ein $ n_0\in\mathbb{N}$, so daß

$\displaystyle c < r_n < x$       für $ n\geqslant n_0$.$\displaystyle $

Die Folge $ (r_n)_{n=n_0}^\infty $ leistet das Gewünschte.

Analog gibt es zu $ x\geqslant 0 $ eine Folge in $ I\cap\mathbb{Q}$, die von oben gegen $ x$ konvergiert. Im Fall $ x\leqslant 0 $ betrachte man $ -x $.

Beispiele 2.3.33 (Stammbrüche)  

Auf $ I=(0,1)$ definieren wir den Stammbruch:

\begin{displaymath}
B(x):= \left\{
\begin{array}{ccll}
\frac{1}{q} &\mbox{f\uml ...
...mbox{f\uml ur}& x\not\in \mathbb{Q}\text{.}
\end{array}\right.
\end{displaymath}

Es gilt $ \lim\limits_{\substack{x \rightarrow a\\  x\not=a}} B(x) = 0$ für alle $ a\in I$.
Somit ist $ B$ in den rationalen Punkten unstetig und in den irrationalen stetig.

Beweis . Es sei $ \varepsilon >0$. Es gibt nur endlich viele $ q\in\mathbb{N}$ mit $ \frac{1}{q} \geqslant \varepsilon $. Zu diesen $ q $ gibt es nur jeweils endlich viele $ p\in\mathbb{N}$ mit $ \frac{p}{q} \in I $. Also gibt es nur endlich viele Punkte $ \{ r_1,\dots,r_n \}\subset I $, in denen $ B(r_k) \geqslant \varepsilon $ ist.
Es ist

$\displaystyle \delta :=\min \{ \vert r_k-a\vert \mid k=1,...,n \} > 0$.$\displaystyle $

Für $ x\in I \setminus \{a\}$ folgt aus $ \vert x-a\vert<\delta$ stets $ B(x) < \varepsilon $.


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Analysis1-A.Lambert 2001-02-09